Mein lieber J.,
fünf Jahre bist du jetzt. Bei dir habe ich immer ein gutes Gefühl, dass dein Geburtstag kommt. Schon Wochen vorher empfinde ich dich als Fünfjährigen, bis du es dann auch offiziell sein darfst.
Es gibt so viele Dinge, die du so gut kannst. Du bist motorisch total begabt. Fährst Fahrrad wie der Henker, rollerst mit den Rollschuhen, kletterst auf die höchsten Bäume, springst von zwei Meter hohen Mauern. Mir bleibt so oft das Herz stehen, aber ich will (und kann) dich nicht aufhalten.
Spielen liegt dir nicht ganz so sehr. Über Playmobil freust du dich zwar, aber die Figuren stehen nach dem Aufbauen nur rum. Rollenspiel ist nicht deins. Du musst tun, etwas schaffen. Mit Werkzeug kannst du gut umgehen, du sägst gerne oder schnitzt oder haust Nägel rein. Du freust dich wahnsinnig auf den Herbst, da wir dann Eicheln sammeln können. Du sammelst unglaublich gerne und die Eicheln willst du alle schälen. Im Herbst möchtest du gar nicht weg fahren, sondern nur zu Hause bleiben.
Mit Lego baust du auch sehr gerne und kreativ. Da sind schon einige Städte, Raketen und Uboote entstanden. Genauso kreativ malst du seit einiger Zeit. Feuerwehren mit ihren Schläuchen haben es dir angetan, genauso wie Menschen, die auf deinen Zeichnungen sogar einen Hals haben. Ausmalen magst du auch sehr und bist sehr sorgfältig dabei. Dabei wirst du richtig ruhig.
Ruhig ist sonst eher nicht dein zweiter Vorname. Du bist gerne laut und präsent. Du hast so viel Energie und weißt oft nicht, wohin damit. Es kommt vor, dass andere darunter leiden müssen.
Ich bemerke im Gegensatz dazu allerdings immer wieder, dass du mit Lärm sehr schlecht klar kommst. Es gelingt dir nicht mehr dich zu konzentrieren, bist abgelenkt und vergisst das, was du sagen willst. Deine Schwester schreist du deswegen oft an.
Dann wieder gibt es Zeiten, in denen du total vernünftig bist und schon so groß wirkst. Du weißt im Prinzip, wie Menschen sich verhalten dürfen und kannst auch schön darüber philosophieren. Du entdeckst immer mehr Zusammenhänge, weißt, dass die Woche aus fünf Kindergartentagen und dem Wochenende besteht. Du schreibst gerne vorhandene und nicht vorhandene Buchstaben und kannst plötzlich zweistellige Zahlen lesen. Du bist weltoffen und vertraust dich schnell anderen Leuten und Kindern an. Am liebsten fährst du mit deinem Fahrrad zum Bierstand im Dorf und kaufst dir dort von deinem Geld ein Eis. Dein Geld? Ja, vor kurzem hast du dem Papi erklärt, dass du ab sofort den Rasen mähst und der Papi hat dir dafür Geld angeboten. Mit deinem Geld bist du sehr großzügig und kaufst auch gerne (wenn es denn reicht) für deine Schwester noch ein Eis.
Zwei Tage nach deinem Geburtstag hast du jetzt den Kindergarten gewechselt. Der Wechsel fällt dir schwerer, als ich das erwartet hatte. Aber so schnell du dich Erwachsenen anvertraust, so sehr vermisst du wohl auch die vertrauten. Diese Umgewöhnung macht dir schwer zu schaffen und du bist nach dem Kindergarten sehr unausgeglichen. Im Moment haben wir da noch keinen richtigen Rhythmus gefunden, aber das wird sich in den nächsten Wochen legen.
Mein lieber J., wir lieben dich so sehr, wir bewundern deinen offenen Blick für die Welt und die Gabe im Hier und Jetzt zu leben.
Wie schön, dass es dich gibt!