Wir werden eine Jeans nähen. Wir werden eine alte, löchrige Hose filetieren und nach der Vorlage eine Neue machen. Das wird großartig, denn das bedeutet, dass ich NIE WIEDER Hosen kaufen muss. Einfach das alte Schnittmuster mit neuem Stoff zusammennähen und fertig ist die neue Hose. Was das an Zeit und Geld sparen wird!
Ich verstehe nichts vom Nähen. Aber eines verstehe ich: Jeans-Stoff ist dick. Man braucht ordentlich Wumms um da durch zu kommen. Meine liebe Frau hat eine Nähmaschine, die tut was sie soll, aber ich halte das Ding für eine Krankheit (eine AEG NM795). Ich kann nicht fernsehen, wenn sie näht. Erstens weil die Maschine den Empfang stört und zweitens weil das Plastikgetriebe einen Lärm emittiert, bei dem man nicht mal mehr die über uns startenden Flugzeuge hört. Und dicken Stoff möchte man ihr auch nicht zumuten.
Dank sozialistischer Überproduktion kommt man hierzulande recht preiswert an betagte Nähmaschinen der Marke Veritas. "Wumms" geht hier vor Features, weshalb wir eine 8014/2 aus den 50ern erstanden haben. Meine Frau hat sie abgeholt. Gespannt laufe ich zum Auto: "Die darfst du jetzt herausheben.", teilt sie mir mit. Es gelingt mir nicht ganz, mir nichts anmerken zu lassen. Das Knarzen in meinem Rücken und in den Federn des Autos, das entlastet wird, deuten an, dass diese Nähmaschine offenbar aus einem einzigen Stück Eisen gegossen ist. Ich verstehe jetzt, warum man relativ unproblematisch die Nähmaschinenwerke zu Kriegszeiten zur Waffenproduktion umfunktionieren konnte. Ich vermute, dieses Teil kann zwei Stahlbleche vernähen, wenn es sein muss.
Als erstes bekommt sie von mir Öl. Und zwar 10W40, das ist ein bisschen zäher als "Nähmaschinenöl". Ich hoffe, das bleibt länger drin und ich habe länger Ruhe. Die Mechanik ist in einem hervorragenden Zustand. Nichts verschlissen, nichts hat Spiel. Und jedes (JEDES!!) Lager hat einen Schmiernippel. Das ist für die Ewigkeit gebaut.
Unser Modell hat einen Rucksackmotor aus ähnlicher Epoche wie der Rest der Maschine. Übermäßiges Bürstenfeuer, bei dem mal neue Kohlebürsten fällig wären, kann ich nicht erkennen.
So, geben wir mal Gas: Erst knurrt der Motor ein bisschen im 50 Hz-Takt, wenn das Drehmoment noch nicht reicht zum losfahren und dann setzt sie sich in Bewegung. Ohne Losstolpern, das man oft hat, wenn die Haftreibung überwunden wird. Butterweich und leise läuft sie los. Man spürt die Masse der Mechanik, die nichts aufhält, wenn sie einmal in Bewegung ist. Ein Fahrgefühl, das Gänsehaut hervorruft. Unmöglich, das mit dem plastikhaften Geratter der AEG zu vergleichen.
Es gibt nur ein Problem: Sie näht nicht. 80 % der Stiche werden ausgelassen. Ausgedehnte mechanische Studien ergeben, dass der Greifer ein Mü zu spät kommt. Im Idealfall ist es so, dass die Greiferspitze die Nadel passiert, nachdem diese sich 2 mm vom Umkehrpunkt angehoben hat. Dann gibt es eine schöne Schlaufe, durch die er greifen kann. Kommt er zu früh, ist die Schlaufe zu klein. Kann man nachlesen hier: http://www.drachenwiki.de/index.php/Einstellanleitung_-_Nadel_-_Greifer
Ich vermute, dass die Verstellung des Greifers bei unserer Maschine daher kommt, dass sich die Antriebskette gelängt hat.
Man muss also nur den Greifer verdrehen. Nur. Nachdem er vermutlich 60 Jahre lang an Ort und Stelle saß. Naja, mein ganzes Zangenarsenal, Rostlöser und dosierte Gewalt haben irgendwann doch zum gewünschten Ergebnis geführt. Und siehe da, sie näht ... nicht. Als zweites Problem konnte ich den Oberfadenspanner ausmachen. Zwei Teller sollen den Faden einklemmen. Diese Teller werden durch eine Feder zusammengedrückt, deren Vorspannung eingestellt werden kann. Ein labberiges Drähtchen sorgt für die Fadenführung. Das kann aber nicht gehen, weil erstens die Federspannung nicht an die Teller weitergegeben wird und das labberige Drähtchen sich ständig verstellt. Ich weiß nicht, wie das original gehen soll. Mit einem Stück Draht und unter Weglassen eines Teils dieses Spanners baue ich es so um, dass es funktioniert.
Und siehe da: Sie näht!